Olga Tokarczuk

Olga Tokarczuk (geb. am 29. Januar 1962 in Sulechów bei Zielona Góra) ist Psychologin und Schriftstellerin.
Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin studierte sie seit 1980 Psychologie an der Universität Warschau. In dieser Zeit arbeitete sie in einem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche. Nach dem Abschluss im Jahr 1985 zog sie zunächst nach Breslau und später Wałbrzych, wo sie eine Tätigkeit als Therapeutin begann. Tokarczuk sieht sich selbst in der geistigen Tradition von Carl Gustav Jung, dessen Theorien sie auch als eine Inspiration für ihre literarischen Arbeiten anführt. Seit 1998 lebt Tokarczuk in dem kleinen Dorf Krajanów bei Nowa Ruda. Von hier aus führte sie auch mehrere Jahre ihren eigenen Verlag Ruta, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete.

Rezensionen

Olga Tokarczuk, Ur und andere Zeiten

Tokarczuks dritter Roman Prawiek i inne czasy (Ur und andere Zeiten) wurde 1996 veröffentlicht und bleibt bis heute ihr erfolgreichster. Er spielt in dem fiktiven Städtchen Ur in Ostpolen, das von exzentrischen Urgesteinen bevölkert wird. Das Städtchen steht unter dem Schutz von vier Erzengeln (Raphael, Uriel, Gabriel und Michael), aus deren Perspektive der Roman das Leben der Bewohner über einen Zeitraum von acht Jahrzehnten seit 1914 aufzeichnet. In Parallele zur abwechslungsreichen polnischen Geschichte in jener Zeit, doch gleichzeitig seltsam entrückt von ihr, beschreibt der Roman die stetige Wiederkehr aller menschlichen Freuden und Schmerzen, die in Ur wie durch ein Brennglas sichtbar werden. Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt, darunter Deutsch, und begründete Tokarczuks internationale Reputation als eine der wichtigsten Protagonistinnen der polnischen Literatur in der Gegenwart.

  • Klappentext

Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Zentrum der Welt und Ort des Geschehens ist das fiktive ostpolnische Städtchen Ur, bewacht von den vier Erzengeln Raphael, Uriel, Gabriel und Michael und bewohnt von den merkwürdigsten Menschen: der jungen Genowefa, dem verarmten Baron, der sein Leben einem kabbalistischen Rätselspiel verschrieben hat, dem wilden Mann, der im Wald lebt, dem Säufer Pawel Göttlich. Die Erzählung setzt im Jahr 1914 ein und begleitet die historische Entwicklung Polens durch das 20. Jahrhundert. Doch sie könnte auch zu jeder beliebigen Zeit spielen, denn Olga Tokarczuk beschwört nicht in erster Linie die politischen Ereignisse zweier Weltkriege, es sind die ewigmenschlichen Geschichten von Liebe und Hass, Glück und Leid, Geburt und Tod. Das Personal dieser Geschichtenwelt ist das Personal der Märchen und Mythen. Zum Leben erweckt werden all diese menschlichen Urtypen in einer Sprache, die diese junge Autorin perfekt beherrscht: der einfachen Zaubersprache der Märchen mit ihrer poetischen Leuchtkraft und ihrer drastischen Grausamkeit.

  • Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.10.2000 (Perlentaucher)

Iris Radisch ist äußerst angetan von diesem Roman, der im exemplarischen Ort Ur von drei Generationen und zwei Weltkriegen erzählt. Dieser `Ur-Ort der Literatur` ist nicht, wie die gegenwärtige deutschen Literatur, `übersichtlich wie ein Fahrplan`, meint die Rezensentin dankbar. Aus der Perspektive eines Engels erzählt, sei der Text von `provozierender Rätselhaftigkeit` und verzichte auf eine durchsichtige Welterklärung, so die Rezensentin begeistert. Ur sei gleichermaßen `Inbild der Poesie` wie es auch als `Urbild Polens` gelesen werden könne. Der Roman, den seine Autorin selbst ein `metaphysisches Märchen` nennt, ruft die alte osteuropäische Literatur ins Gedächtnis und weckt sie in `neuem Eigensinn` wieder zum Leben, so Radisch begeistert.

  • Rezension in lietraria.org (Alicja Kowalska)

„Ur ist ein Ort mitten im Weltall.“ Mit diesem Satz fängt der Roman von Olga Tokarczuk an. Ein Ort also. Gibt es denn aber Orte im Weltall? Bedeutet nicht, von einem Ort zu sagen, er liege im Weltall, mitten im Weltall, daß er nicht existiert.
Wo liegt nun Ur? Nach dem ersten Satz, Ausdruck einer Bestimmtheit im Unbestimmten, erfahren wir von Ur, daß man nur eine Stunde brauche, um dieses Dorf von Norden nach Süden zu überqueren. Dem Weltall scheinen Grenzen gesetzt zu werden. Dies ist kennzeichnend für Tokarczuks Roman. Er erzählt die Geschichte eines polnischen Dorfes und seiner Einwohner. Diese kommen mit prägnanten Augenblicken aus ihrem Leben zu Wort. Sie erzählen eine Geschichte Polens, wie sie das Leben in diesem Land, einem Bauernland”, geschrieben hat und schreibt. Ur scheint ein Kleinod Nirgends zu sein. Und doch vergessen die Menschen aus diesem Dorf ihre Geschichten nicht. Der Bauer wird von den beiden Weltkriegen nicht verschont, genauso wie der adelige Gutsbesitzer im Namen des neuen Systems enteignet wird und in die Stadt fliehen muß. Obwohl die Figuren in Ur- und andere Zeiten durchaus typisiert sind, fehlt es nicht an außergewöhnlichen Gestalten und Begebenheiten. Es gibt Engel, Seher und unsichtbare Grenzen, die, wenn man sie überschreitet, in andere Welten führen müssen.
Die Prosa von Olga Tokarczuk wird oft als magischer Realismus bezeichnet. Das vorliegende Buch wird dieser Bezeichnung gerecht, indem es dem Leser eine außergewöhnliche Welt eröffnet. Die Magie schließt dabei den Realismus nicht aus. Durch die dargestellten Verhältnisse und Charaktere, so sonderbar sie auch sein mögen, wird viel über das Land und seine Bewohner ausgesagt. Schließlich spielt der Roman in Zeiten, die Polen geprägt haben. Zeiten, die längst vorbei sind, ohne die man aber das heutige Polen nicht wirklich verstehen kann.

Olga Tokarczuk, Prowadź swój pług przez kości umarłych ("Der Gesang der Fledermäuse“)

  • Klappentext

Aus dem Polnischen von Doreen Daume. Die schrullige Erzählerin Janina Duszejko, Dorflehrerin für Englisch und im Winter Hüterin der Häuser von Sommerfrischlern auf einem windgepeitschten Hochplateau im Glatzer Kessel, hat zwei Leidenschaften: für Astrologie und für Tiere. Außerdem kämpft sie mit einem tückischen Leiden, liest und übersetzt mit einem ehemaligen Schüler die Gedichte von William Blake und räsoniert über die Sterne, die Menschen und die Bedeutung von Namen. Vor allem aber entwickelt die Erzählerin kuriose Theorien über die an Tieren begangenen Verbrechen. Als in der Umgebung eine Leiche nach der anderen gefunden wird, ist sie, die allgemein als Verrückte angesehen wird, der Polizei immer einen Schritt voraus.

  • Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.2011 (Perlentaucher)

Marta Kijowska warnt davor, diesen Roman von Olga Tokarczuk als einen Krimi zu lesen, auch wenn die Autoren durchaus ihr ironisches Spiel mit der Gattung treibt. Doch die Geschichte um eine ehemalige Brückenbauingenieurin, die sich in die niederschlesischen Berge zurückgezogen hat, wo es zu bizarren Mordfällen kommt, ist weitaus mehr. Nämlich Tierschützerroman und scharfe Zivilisationskritik. Denn die Heldin des Romans entnimmt ihr pessimistisches Weltbild nicht nur der Sternenkonstellation, sondern auch der Mystik William Blakes, dem in diesem Roman viel Platz eingeräumt wird. Kijowska hat diesen Roman sehr gern gelesen, wie sie bekundet, Tokarczuks skurrilen Witz schätzt sie ebenso wie „stilistisches Können“.

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